Zabbaione – Die Prinzessin, der Koch und das Drachentier

von Heribert Riesenhuber

 

Prinzessin Lillemor verschwand durch eine der zahlreichen Tapetentüren und schlich einen engen Gang hinunter in die Schlossküche. Hier arbeitete der Koch. Prinzessin Lillemor kam gerne hierher, obwohl ihr Vater, der König, ihr das eigentlich verboten hatte.

Der Koch war gerade dabei, ein Hühnchen zu rupfen, und beachtete deshalb die Ankunft der Prinzessin nicht. Das ärgerte die Prinzessin. „Hallo Koch, was macht er denn da Feines? “, fragte sie unschuldig. Sie sagte immer „er“ zum Koch und nicht „du“, weil sie wusste, dass ihn das ärgerte. Und natürlich konnte sie deutlich sehen, dass der Koch gerade dabei war, ein Hühnchen zu rupfen. Sie fragte ihn trotzdem, weil sie wusste, dass es ihn ärgerte, wenn er immer alles erklären musste. „Ich rupfe ein Hühnchen für die königliche Hühnersuppe“, antwortete der Koch freundlich. Denn er durfte der Prinzessin gegenüber auf keinen Fall zeigen, dass er sich ärgerte.

„Seine Hühnersuppe schmeckt nicht!“, spottete Lillemor.

„Oh, das tut mir leid. Ich werde versuchen, sie heute besser zu machen“, versprach der Koch freundlich, obwohl er sich schon wieder ärgerte.

„Du musst Zucker in die Suppe tun. Dann wird sie vielleicht erträglich“, schlug die Prinzessin vor.

„Das ist eine gute Idee“, entgegnete der Koch und hoffte, die Prinzessin werde die Küche bald wieder verlassen. „Und dann musst du noch einen großen Löffel voll Zimt hinzugeben und einen Korb voller Äpfel, und nicht dieses tote Huhn!“, forderte Lillemor weiter. „Aber wenn ich kein Huhn hineingebe, wird es keine Hühnersuppe“, antwortete der Koch und hielt das gerupfte Huhn unter fließendes Wasser, um es von Rückständen zu befreien. Das tat er aber eigentlich nur, um einen Grund zu haben, der Prinzessin den Rücken zuzukehren, damit sie nicht sehen konnte, wie sehr er sich ärgerte.

Die Prinzessin nutzte schnell die Gelegenheit, um in eine Schüssel hineinzuspucken, in welcher der Koch gerade eine Rotweincreme für den königlichen Nachtisch bereitete. Der König liebte Rotweincreme.

Weshalb die Prinzessin den armen Koch immer so ärgerte, das wusste sie selbst nicht so genau. Manchmal öffnete sie die Ofentüre, wenn sich darin gerade ein empfindliches Soufflé befand, damit es zu einem unansehnlichen Haufen zusammenfiel. Oder sie träufelte Zitronensaft in die Milch, so dass sie sauer wurde. Der Koch sagte niemals etwas. Vermutlich konnte er es sich nicht leisten, sich zu beschweren. Denn erstens darf eine Prinzessin so etwas tun und zweitens tut eine Prinzessin so etwas nicht. Man hätte ihm also gar nicht geglaubt, sondern ihn gleich wegen der falschen Anschuldigungen entlassen. Das aber wollte nicht einmal die Prinzessin. Denn eigentlich mochte sie den Koch; irgendwie jedenfalls.

Er hatte wunderschöne karamellfarbene Augen und er duftete herrlich nach Kardamom und Nelken. Vielleicht könnte man sich sogar gut mit ihm unterhalten. Aber jetzt hatte Prinzessin Lillemor keine Zeit mehr. Sie musste zur Reitstunde. Und dann war Fechten dran. Die Prinzessin war eine leidenschaftliche Fechterin und mit dem Degen so geschickt, wie der beste Ritter des Landes – ach Quatsch! Nix Fechten, nix Reiten: Die Prinzessin musste Französisch lernen und Perlenstickerei und Schönschrift und Klavierspielen und andere langweilige Sachen.

Das Leben einer Prinzessin war wahrlich nicht einfach.

 

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