„Feliz Navidad“

von Thomas Peters aus Weihnachtskarpfen – Zwei Dutzend Einfälle

 

„Feliz Navidad, prospero año y felicidad. I wanna wish you a merry Christmas…“ dröhnt es aus den Lautsprechern auf dem Weihnachtsmarkt. Dorothee steht in einem der vielen kleinen Verkaufsstände rund um die Eislaufbahn und die große Krippe in der Mitte des Platzes und ist echt genervt von dem Lied. Es ist ja nicht so, als ob das Lied erst ein- oder zweimal lief an diesem Tag. Das wäre ja noch einigermaßen erträglich gewesen. Aber es läuft bestimmt schon zum fünften Mal heute und vermutlich bereits zum vierzigste Mal in dieser Woche. So oft kann man doch kein Lied anhören und schon gar nicht dieses!

Täglich das gleiche Gedudel, täglich Füße abfrieren, täglich aufgesetzte Heiterkeit. „Die Kunden erwarten das von uns“, hatte der Chef seiner Verkaufshilfe erklärt. Also lächelte Dorothee immerzu in ihrer Bude mit den vielen Spielsachen. Das meiste war aus Naturmaterialien hergestellt und trug wenigstens ein Öko-Siegel. Auf vielem prangte außerdem eine Auszeichnung für pädagogisch wertvolles Spielzeug. Genau das, was sich Kinder heutzutage eben wünschen: hölzerne, die Phantasie anregende und nachhaltig produzierte Spielsachen anstelle von kleinen Panzern, die über den Tisch gesteuert werden, indem sie mit dem Computer synchronisiert werden, Hungermodel-Püppchen in rosa-glitzer Prinzessinnenrobe oder Plastik-Aliens mit Todeslaser, Ninjaschwert oder Todesninjalaserschwert.

Jeden Tag erträgt Dorothee denselben Mist. Sie kommt sich vor wie in „Und täglich grüßt das Murmeltier“, nur auf Niederboarisch und ohne den Murray Bill. Ein Tag wie der andere. Außer Sonntag halt, denn da wird es ja noch schlimmer. Überhaupt merkt sie oft erst, dass schon wieder Sonntag ist, wenn ihre Lieblingsgäste vor der Bude stehen und die Modelltraktoren bewundern. So etwas haben sie nämlich auch im Angebot. „Da schau, a Hanomag“, sagt dann oft jemand freudig überrascht. Darauf folgt meist ein entzücktes „Und an Deutz ham‘s aa!“ eines Begleiters. Herr Bauer, Frau Bauer, Opa-Oma-Kinder Bauer, alle sind sie mit dabei – ein sonntäglicher Ausflug in die Stadt. Der ganze provinzielle Scheiß geht Dorothee gehörig auf die Nerven.

An so einem Sonntag hat sie die Nase voll vom heiteren Advents-Gedudel und schließt einfach ihren Stand, um sich eine Pause zu genehmigen. „Einmal mit Schuss, bitte!“, sagt sie in der folgenden Stunde nicht nur einmal am Glühweinstand. Auf dem Rückweg zu ihrer Bude beschließt sie, die ganze Veranstaltung etwas aufzulockern. Sie nimmt am Asia-Esoterik-Stand zwei Kisten Meditationsräucherstäbchen mit, ohne zu bezahlen. Der Betreiber, ein ruhiger Mann mit langgelocktem und gräulichen Haar, steht auf und ruft ihr ein „Hey, wart doch mal!“ hinterher, will sich aber dann doch seinem kosmischen Schicksal ergeben und setzt sich einfach wieder hin. Die Räucherstäbchen wirft Dorothee im Vorbeigehen in das offene Feuer der Maroni-Frau. Bevor die etwas bemerken oder gar etwas dagegen tun kann, vernebelt eine dicke stinkende Wolke den Platz rundherum.

Es entsteht Unruhe…

 

Die Fortsetzung dieser Geschichte finden Sie neben 23 anderen Einfällen im literarischen Adventskalender Weihnachtskarpfen – Zwei Dutzend Einfälle. 

 

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