„Michel und Mutz auf der Bühne“ aus Musik und Menschlichkeit

von Adolph Kurt Böhm

 

Michel wusste, wie gern ich Theater spielte, und so sagte er mir einmal: »Mutz, ich habe die Absicht, das Lustspiel L’Anglais tel qu’on le parle (Englisch, wie man es spricht) von Tristan Bernard (1866–1947) aufzuführen. Würde es dir Spaß machen, die Hauptrolle zu übernehmen?«

»Und ob!«, sagte ich. »Aber meinst du, dass ich dazu fähig bin?«

»Aber selbstverständlich!«

Diese lustige Komödie, welche sich an der Rezeption eines Hotels abspielt, war zu jener Zeit sehr beliebt. Sie wurde sogar in der Comédie-Française aufgeführt. In der Hauptrolle brillierte dort Raimu, der geniale französische Komödiant.

Meine Rolle lernte ich sehr schnell auswendig, so dass ich bei der ersten Probe bereits ohne Textbuch auskam. Jean Mauvais spielte den englischen Gast Mister Hogson. Nachdem wir bereits mehrere Proben absolvierten hatten, lasen die Kameraden immer noch aus ihren Textbüchern. Da sie aber alle angehende Profi-Schauspieler waren, dachte ich mir nichts dabei.

Die kooperativen Pfarrer von der Kirche Sankt Franzis­kus hatten uns, wie immer, ihren Theatersaal zur Verfügung gestellt. So kam der Tag der Aufführung im November 1945, auf den ich mich schon so gefreut hatte. Er wurde eine ein­zige Katastrophe!

Michel konnte kein Wort von seinem Text. Stattdessen sprach er eine undefinierbare Fremdsprache, und ich wartete vergebens auf mein Stichwort. Als das Telefon an der Rezep­tion klingelte, hob ich ab, um meinen Text zu sprechen. So weit so gut. Kaum hatte ich den Hörer aufgelegt, klingelte es schon wieder. Dies war nicht im Stück vorgesehen. Ich musste wieder abheben und einen Text improvisieren.

Plötzlich tauchte Michel wieder auf, was im Drehbuch ebenfalls nicht vorgesehen war. Diesmal war er als Spani­er verkleidet – mit Riesenhut, Umhang und opulentem Schnurrbart. Zu dieser Kostümierung hatte er sich wieder eine andere »Fremdsprache« einfallen lassen und brachte mich erneut in Verlegenheit.

Nicht genug dieses Schabernacks, den Michel mit mir trieb. Die Kollegen hinter der Bühne hatten ihren Spaß daran, das Telefon immer wieder klingeln zu lassen, und zwan­gen mich somit, den Hörer abzunehmen und Gespräche zu improvisieren, die im Drehbuch nicht vorkamen. Und so ging es eine ganze Zeit lang. Die unbedarften Zuschauer amüsierten sich köstlich über diesen Blödsinn, während in mir die Wut aufstieg, da ich meinen erlernten Text nicht anbringen konnte.

Das Lustspiel, welches normalerweise circa eine halbe Stunde dauert, wurde durch Michels Possen auf eine Drei­viertelstunde ausgedehnt. Nach der Vorstellung ging ich wütend zu Michel, der sich vor Lachen krümmte.

Als ich Michel im Jahr 2001 einmal wieder traf, fragte ich ihn, ob er sich noch an die Geschichte erinnern könne, weil ich damals so eine Wut im Bauch gehabt hatte. Er antwor­tete charmant wie immer: »Aber Mutz, das war doch nicht bös gemeint!«

 

 

 

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